Im Garten ihres Hinterhofes in Baden-Baden befinden sich Victoria Tobostais Atelier und Werkstatt. Hier entstehen ihre handbemalten Keramikobjekte. Idyllische Naturlandschaften und sterile vom Menschen geschaffene Architektur und Technik treffen in ihren Collagen aufeinander.
1971 im sibirischen Abakan geboren, studierte Tobostai zuerst vier Jahre Design in Krasnojarsk, bevor sie das Fach wechselte und schließlich Keramik studierte. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie als Gastkünstlerin in der Majolika-Manufaktur in Karlsruhe. Der dortige Austausch mit anderen Künstlern hat ihre eigene künstlerische Entwicklung nachhaltig geprägt. Nachdem sie hier ihr Können unter professioneller Begleitung weiter vertiefen und eigene Projekte entwickeln konnte, richtete sie eine eigene Werkstatt ein. 2007 verschlug es sie nach Baden-Baden, wo sie heute in ihrer Hinterhofwerkstatt und ihrem Atelier ihrer Arbeit nachgeht.
Für ihre Vasen, Teller und Objekte wählt Tobostai sorgfältig ihr Bildmaterial aus. Aus ihm entstehen Collagen mit Fragmenten alter Meisterwerke, Fotografien und eigenen Skizzen. Ausreichend Inspiration findet sie vor ihrer Haustür: Mit ihrer Kamera streift sie durch Wald, Wiesen oder Kiesgruben und hält einzelne Motive fest. Während im Vordergrund Kühe und Schafe im ländlichen Steinbach grasen, wird der Hintergrund von einem nahegelegenen Industriegebiet oder einem vorbeirasenden TGV dominiert. Die keramischen Objekte, die ihr als Leinwand dienen, modelliert Tobostai selbst.
Zu ihrem Spezialgebiet zählt die Malerei mit Sinterenbogen, einer Mischung aus Tonmineralien, Pigmenten und Glasur. Zum Auftragen der Farbe verwendet Tobostai sowohl breite als auch sehr feine Pinsel. Durch den Brand bei 1150 Grad verschmelzen die Farben auf der keramischen Oberfläche und schimmern samtig. Einige ihrer Objekte glasiert Tobostai vollständig mit einer transparenten Glasur, andere nur teilweise. Durch sie wirken die Malereien beinahe wie ein Aquarell. In ihren Collagen behandelt sie immer wieder die Themen Natur, Mensch und Umwelt. Geprägt wird ihre Arbeit aber auch von der asiatischen Ästhetik.
Was bieten Sie Ihren Kunden? Was suchen Kunden (aus Ihrer Sicht) bei Ihnen?
Ob Bodenvase, Wandteller oder Plastik aus Keramik – in Mittelpunkt steht die Malerei! Die Gestaltung meiner eigenmodellierten Gefäße und Objekte ist immer Ausdruck einer künstlerischen Idee. Meine Arbeiten zeichnen sich durch stilvolle Kompositionen, Inszenierungen und Collagen aus – mit Fragmenten von Kunstwerken alter Meister, Fotografien und eigenen Skizzen. Gemalt wird mit keramischen Farben und Engoben, teilweise transparent glasiert, mit Dekormitteln veredelt und schließlich gebrannt.
Zu mir kommen Menschen, die Malerei dreidimensional auf Keramik erleben möchten. Sie suchen Anknüpfung an langjährige Tradition und Ästhetik in der Keramikgestaltung. Besonders wichtig ist ihnen dabei unter anderem die Umsetzung persönlicher Ideen, Geschichten und Entwürfe. Es folgen zahlreiche Zeichnungen, Vorschläge und Proben, bis hin zur präzisen Ausführung.
Was können Sie besser als andere? Oder bescheidener gefragt: Haben Sie bzw. Ihr Unternehmen eine Art Alleinstellungsmerkmal oder besondere Kenntnisse, die ggf. selten sind?
Ich arbeite mit dem ältesten Material in der Keramikgeschichte: Ton. Und doch ist die Art, wie ich mit Engoben gestalte, eine Seltenheit. Ich modelliere keramische Untergründe und nutze sie wie eine Leinwand für meine Maltechnik. Mein Spezialgebiet ist die Malerei mit Sinterengoben – eine Mischung aus Tonmineralmasse, Pigmenten und Glasur. Um den Nuancen noch mehr Vielfalt zu verleihen, verreibe ich mit den Spachteln verschiedene Farbkörper und Grundfarben. Bis in die feinsten Details kann ich dekorative Flächen mit Sinterengoben gestalten.
Ist das, was Sie tun, typisch für Ihre Region? Prägt das regionale Umfeld Sie und Ihre Tätigkeiten?
Meine Tätigkeit war mal typisch. Vor nicht allzu langer Zeit galt die Majolika-Manufaktur in Karlsruhe als ein bedeutendes Merkmal für unsere Region und war sehr bekannt für ihre Keramikgestaltung. Nach meinem Kunst-Keramikstudium, bevor ich meine eigene Werkstatt eingerichtet habe, war die Majolika für mich ein guter Start. Ich konnte eine zeitlang in den Räumlichkeiten als Gastkünstlerin arbeiten, meine Projekte entwickeln und unter professionelle Begleitung mein Können vertiefen. Auch der Austausch mit den Künstlern in den Ateliers der Manufaktur hat meine künstlerische Entwicklung stark geprägt.
Heute lebe ich in Baden-Baden, umgeben von einer Fülle malerischer Vorlagen für meine aktuellen Bilder auf Keramik. Ich gehe oft in den Wald und auf die Wiesen, um die Natur zu fotografieren. Kühe und Schafe in ländlichen Ortsteilen wie Steinbach stehen mir dabei häufig Modell – und im Hintergrund darf ein vorbeirasender TGV oder ein nahgelegener Industriewerk nicht fehlen.
Gibt es etwas, für das Ihre Region bzw. Ihr Lebensort besonders bekannt ist?
Baden-Baden ist eine großartige Kurstadt und Teil des UNESCO-Welterbes. Früher wurde sie zur Sommerhauptstadt Europas gekürt – bekannt für ihre Thermalbäder, Theater, Casinos und Rennbahn. Heute ist Baden-Baden vor allem durch Kunst, Kultur und einen besonderen Lebensstil geprägt. Ich empfinde es als großes Privileg das Festspielhaus, Deutschlands größtes Opern- und Konzerthaus, besuchen zu können. Im Museum Frieder Burda erlebe ich hautnah die Werke weltbekannter Künstler. Dazu wohne ich in Rebland, einem Stadtteil von Baden-Baden. Diese Gegend ist sehr bekannt als Teil der Badischen Weinstraße mit außergewöhnlichen Weinlagen.
Wo gehen Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?
Zum Entspannen reicht mir oft schon mein Garten. Besonders wohltuend empfinde ich Spaziergänge entlang der Lichtentaler Allee oder einen Besuch in den Thermen von Baden-Baden.
Können Sie ein Restaurant aus Ihrem Umfeld besonders empfehlen?
In Baden-Baden bieten das Restaurant Le Jardin de France und das Restaurant RIZZI nicht nur kulinarischen Hochgenuss, sondern auch eine Bühne für Kunst. In ländlichem Steinbach ist die Linde mehr als nur ein Restaurant mit regionaler Küche – sie ist ein lebendiger Treffpunkt für die Menschen im Ort.
Gibt es einen speziellen Einzelhandelsladen, den Sie empfehlen können, den es nur in Ihrem Ort (oder in der Region) gibt?
Die Fotogalerie Bell ist ein spezieller Kunst- und Fotoeinzelhandel mit eigener Galerie in Baden-Baden. Sie bietet limitierte Fotokunstwerke für regionale und überregionale Kunstliebhaber und Sammler. Besonders möchte ich Vickermann und Stoya Maßschuhe Geschäft empfehlen. Eine Seltenheit und Spezialität ist die Axel Eisenlack Manufaktur für Ofenkacheln, sowie die Sattelgurt-Weberei Reiten Wie Am Schnürchen für Pferdeliebhaber. Alle diese ausgezeichneten Werkstätten und Geschäfte haben ihren Sitz in Baden-Baden.
Haben Sie das Gefühl, dass die Politik mehr für Sie bzw. Ihre Branche tun könnte? Wenn ja, was?
Ich wünsche mir, dass große traditionelle Keramikmanufakturen erhalten bleiben. Sie sind für großformatige Projekte und als Praktikumsplatz oder Ausbildungsstätte für den Nachwuchs sehr wichtig. Ich selbst habe meine Diplomarbeit in einer Porzellanmanufaktur absolviert. Kleine Werkstätten wie meine können nur schwer die Gestaltung einer U-Bahnstation oder Großskulptur für den Zoo realisieren. Wenn aber der Prozess der Schließung nicht aufzuhalten ist und die Produktion eingestellt werden muss, dann wäre es sehr schön das Ambiente zu bewahren und die Räume als Kulturzentren, Museen, Ateliers oder für Kunstausstellungen zu nutzen.
Wie ist die Ausbildungssituation in Ihrem Bereich? Finden Sie leicht Nachwuchs? Was vermissen Sie?
Nur wenige Kunsthochschulen in Deutschland bieten spezialisierte Programme in Keramik an. Die Ausbildung an Fachhochschulen ist zwar sehr fundiert und hoch angesehen, doch die Plätze sind begrenzt – und der Zugang entsprechend schwer.
Der Wunsch nach individueller Entfaltung im Bereich Kunstkeramik bleibt attraktiv, aber das Feld ist sehr speziell. Nachwuchs zu finden ist daher nicht leicht – und bleibt eine Herausforderung.
Welches Schulfach sollte es geben, das es noch nicht gibt?
Ein Fach für lebenspraktische Themen. Junge Menschen sollten besser auf die Selbstständigkeit vorbereitet werden. Es ist wichtig zu wissen, wie man eine Steuererklärung macht, welche Versicherungen man braucht oder wie man einen Vertrag prüft.
Wenn Sie für ein Jahr Bürgermeister/in Ihrer Stadt oder Landrat/Landrätin in Ihrem Landkreis wären: Was würden Sie einführen oder ändern?
Es fällt mir schwer, mir diese Rolle vorzustellen. Ich war zweimal bei einer Ortschaftsratssitzung in unserem Rathaus und habe großen Respekt vor der Arbeit unserer kommunalen Vertreter.
Ich vertraue darauf, dass Bürgermeister und Landrat ihre Aufgaben gut und mit Gespür für die Bedürfnisse der Menschen erfüllen.
Wenn Geld oder andere Abhängigkeiten keine Rolle spielen würden: Wo würden Sie am Liebsten leben?
Ich bin in Baden-Baden angekommen – und es gefällt mir hier sehr. Der Nationalpark Schwarzwald liegt direkt vor der Tür, und Frankreich, die Schweiz und Österreich sind nah.
Aber letztlich ist man dort zu Hause, wo Familie und Freunde sind. Beziehungen brauchen Zeit. Auch mein Arbeitsplatz erfüllt mich – denn ich darf in meiner Berufung arbeiten.
76534 Baden-Baden