Upcycling Havana

Beitrag lesen

Havanna: Da entstehen zunächst einmal Bilder im Kopf. Kubanische Rhythmen erklingen aus holperigen Gassen, in der Ferne hört man das Hufgetrappel der Pferde vor bunt bemalten Kutschen, die das Stadtbild von Havanna prägen. Es duftet nach Sommer und auf den Plätzen und in den Parks liegen friedliche Hunde in der warmen karibischen Sonne.

Die Einkaufsmeile Calle Obispo mit Blick auf El Capitolio.

Aber die kubanische Hauptstadt ist mehr als eine Postkarte: Sie ist ein kultureller und kreativer Spot für Upcycling-Mode. Die in der kubanischen Metropole aus der Not geborene Tradition hat jetzt eine junge Generation von Modedesigner:innen neu definiert, die Kleidung und Fashion-Unikate zu erschwinglichen Preisen produziert. Angesichts der drohenden Ressourcenverknappung und der zunehmenden Vermüllung unseres Planeten bietet die Stadt zudem inspirierende Gedankenanstöße für nachhaltige Mode ebenso wie für eine sanfte Neugestaltung und Umnutzung historischer Gebäude. Das im Hirmer Verlag, München, erschienene Buch „Upcycling Havanna“ führt daher, eingeteilt in die Bereiche „Walk“, „Fashion“ und „Architecture“, durch die Stadt. Zudem sind Adressen ausgewählter Galerien, Museen, Modelabels, Bars und Trendshops aufgeführt.

Einige Ergebnisse aus Josephine Barbes Upcycling Workshop HabanaTrapo der durch die Wiederverwendung von Second Hand Kleidung eine große Bandbreite an Variationen und individuellen Stilen zeigt

Der Herausgeber, der Hispanist und Kulturwissenschaftler Michael M. Thoss war von 2018 bis Ende 2022 für das Goethe-Institut bei der deutschen Botschaft in Havanna tätig. Boris Antonio Pérez Vázquez ist Modedesigner, Künstler und Kurator für Textilkunst und lehrt seit 2016 am Institut für Industriedesign (ISDI) der Universität Havanna. Beide haben sich mit einer dritten Person zusammengetan: in diesem fall mit Josephine Barbe, die an der Technischen Universität Berlin zu aktueller kubanischer Mode lehrt und 2022 zusammen mit 13 kubanischen Designern das Projekt HabanaTrapo gegründet hat. Aus dieser Zusammenarbeit ist das Buch „UpcyclingHavanna“ entstanden: ein Reiseführer der anderen Art, der einen Gang durch die kulturelle und produktive Szene Havannas macht.

Die Models Thalía Cesia Nayelis und Lisandra auf der Plaza del Ángel mit Kreationen von Claudia Arcía und Boris Pérez

Kreativität aus Knappheit 

„Es mag sein, dass Kuba ökonomisch hinterherhinkt, aber in diesem Bereich stehen wir an vorderster Front“ – so meint im Vorwort des Buches ein lokaler Modedesigner in Havanna. Eine neue Art von Modeindustrie ist entstanden: Näher:innen und Designer:innen haben sich zunehmend zusammengeschlossen und innovative Modemarken sowie eigene Boutiquen lanciert – oft aus ihren Wohnzimmern und Gärten hinaus.
Kleine Unternehmen wie diese – die als mipymes in Cuba bekannt sind – bilden aktuell einen wichtigen Faktor innerhalb eines noch ökonomisch stagnierenden Staates, der nach sechs Jahrzehnten von US-Embargo noch wankt. Mode und Design haben sich unabhängig entwickelt, weil Kuba, die größte Insel der Kariben, in diesen Bereichen einen großen Nachholbedarf hat.

Auf der Plaza Vieja das Model Lisandra vor einer Skulptur des Künstlers Roberto Fabelo mit einer bestickten Jeansjacke aus Camila Aguileras Kollektion Kon To

Aus der Not heraus zu recyceln – das haben die Kubaner:innen durch Jahrzehnte von Mangelwirtschaft gelernt. Aus diesem Grund hatte das Wort „Recyceln“ überhaupt keinen guten Ruf. Aber das ändert sich gerade. Synthetische, maschinenproduzierte Mode? Auf keinen Fall sind sie cool! Eine neue Generation von Fashion-Designer:innen wird in Havanna ausgebildet, die sich sowohl von nachhaltigen Lifestyle-Marken im kapitalistischen Norden als auch von Trends von des globalen Südens inspirieren lassen: für sie stehen Berlin, Mailand und New York auf dem gleichen Niveau wie Lagos, Mumbai und Rio. Dies geht Hand in Hand mit der allgemeinen Recycling-Einstellung, die man in Havanna findet, sei es bei der Renovierung von Gebäuden oder den alltäglichen Gewohnheiten kubanischer Haushalte.

Das Buch „Upcycling Havanna“ läd dazu ein, hippe Bars, Boutiquen, Hotels, Kunstgalerien und versteckte Orte Havannas zu besuchen – mit nicht-touristischem Blick. In zwei oder drei Tagen in Kubas Hauptstadt oder beim Durchstöbern des Buches wird man zu einem echten Aficionado. Da geht was in Havanna.

Upcycling Havana – Fashion, Art & Architecture
Michael M. Thoss, Boris Antonio Pérez Vàzques (Hg.)
Text: Josephine Barbe, René Gutiérrez Mayrata, Samuel Puente Rodríguez, Arianet Valdívia Mesa
Sprache: English
80 Seiten, 70 Abbildungen in Farbe
14 x 20,5 cm, Hardcover
München, Hirmer Verlag
19,90 €

Bestellbar hier. 

Foto Credits: Claudia Rayment, mit Unterstützung von Rolando Cabrera & Hirmer