Qualitätsinsel in Sicht

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DMS im Gespräch mit Dirk Hohnsträter

Mit „Qualität! Von der Kunst, gut gemachte Dinge zu entdecken, klug zu wählen und genussvoll zu leben“ spricht Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter über die Bedeutung von Qualität im Gegensatz zu Quantität, über schön gemachte, langlebige Dinge. Sei es im Bereich Kleidung, Ernährung oder Einrichtung – „Qualität!“ ist ein Plädoyer für eine neue Haltung zum Alltagsleben.

Lieber Herr Hohnsträter, der Begriff Qualität ist ja eigentlich immer und fast überall positiv besetzt, Qualität zu wollen ist Konsens. Warum gibt es aber dann in der Realität – wie Sie in ihrem Buch schreiben – diese merkwürdige Vernachlässigung der materiellen Kultur?

Das ist eine gute und nicht leicht zu beantwortende Frage. Ich habe den Eindruck, dass das Reden über Qualität zwischen zwei Extremen zerrieben wird: entweder man verlegt sich auf eine fundamentale Kapitalismuskritik, die gar keinen Blick mehr hat für gut gemachte Dinge, oder aber man macht Werbung, und die ist natürlich nicht immer ehrlich und in jedem Fall von Verkaufsinteressen geleitet. Es gilt also, überhaupt erst mal zu lernen, sich über Qualität zu verständigen, um diese dann besser wahrzunehmen und würdigen zu können. Hinzu kommt, jedenfalls in Deutschland, eine starke Preisfixierung und ein verkürztes, funktionalistisches Qualitätsverständnis. Man schätzt zwar Ingenieursleistungen, ist aber nicht bereit, für gute Lebensmittel, Kleidung oder Möbel einen angemessenen Preis zu bezahlen. Das ist auch deswegen bedauerlich, weil es auch hierzulande so viele unterstützenswerte Qualitätsanbieter gibt, nicht zuletzt im handwerklichen Bereich.

Wenn man ein Buch braucht, um das Phänomen Qualität zu beschreiben: was wäre für Sie ein Qualitätsbegriff in wenigen Sätzen?

Qualität ist, wenn geeignetes Material sorgfältig zu einem Produkt verarbeitet wird, das seinen Dienst verlässlich tut und überdies eine ansprechende Form hat. Hinzu tritt die Wirkung: auf die Menschen, die es benutzen, aber auch auf diejenigen, die es herstellen und auf die natürliche Umwelt. Außerdem kommt es darauf an, Qualität in der jeweiligen Situation zu beurteilen, in der etwas zum Einsatz kommt und offen zu bleiben für die Entdeckung neuer Qualitätsdimensionen. Beim Thema Qualität geht es nicht nur darum, eine Handvoll Kriterien abzuhaken, sondern eine Haltung zu kultivieren.

Sie schreiben in einem Kapitel über verschiedene Faktoren, die bei der Ernährung oder Bekleidung für besondere Qualität stehen. Setzen Sie damit nicht einen Standard, der so von der Mehrheit der Gesellschaft gar nicht umgesetzt oder erreicht werden kann?

Die Frage, wer sich Qualität überhaupt leisten kann, wird mir immer gestellt. Sie ist ja auch wichtig. Meines Erachtens sollten wir sie differenziert beantworten und dabei auch etwas Phantasie ins Spiel bringen. Zunächst einmal leben wir ja in einem der reichsten Länder der Erde, und da gibt es schon eine Menge Menschen, die über genug disponibles Einkommen verfügen, aber andere Präferenzen setzen. Von denen würde ich mir Ehrlichkeit wünschen und auch eine gewisse Nachdenklichkeit, anstatt höhere Preise als Ausrede für den Kauf minderwertiger Ware vorzuschieben. Darüber hinaus gibt es viele Menschen, die zwar keine allzu großen Spielräume haben, aber doch hier und da an ein paar Stellschrauben drehen können. Zum Beispiel, indem der Zeithorizont eingepreist wird. Ein Paar sehr gut gemachter Schuhe zum Beispiel dürfte auf lange Sicht sogar günstiger sein als der immer wieder neue Kauf kurzlebiger Billigware. Zudem rate ich dazu, sich selbst einen Bereich herauszusuchen, in dem man sich eine ‚Qualitätsinsel‘ schafft, also etwa, indem man grundsätzlich nur sehr gutes Brot kauft, weil einem das wichtig ist. An anderer Stelle ist man dann vielleicht gezwungen, Kompromisse einzugehen, aber immerhin erlebt man in diesem ausgesuchten Bereich herausragende Produkte. Und selbst diejenigen, die sehr knapp bei Kasse sind, können durch verschiedene Kniffe wie z.B. Second-Season-Ware an gut gemachte Sachen herankommen. In meinem Buch gibt es ein ganzes Kapitel über das Verhältnis von Qualität und Geld, das auch sehr praktisch wird.


Wenn Qualität nicht Luxus ist, sondern ein Thema sein kann, das sich durch den Alltag zieht: wer kann dann die Erziehung – oder sagen wir besser: die Inspiration zu Qualität geben? Bücher, Museen, Influencer? Früher nahm sich ja der Werkbund die (an sich wunderbare) Freiheit heraus, Qualität zu definieren und gab die Werkbundkisten heraus. Wäre ähnliches heute möglich?

Qualitätsinspiration sollte sich nicht auf eine Instanz beschränken. Je vielfältiger, desto besser. Wir müssen wegkommen von kulturkritischer Klage und hin zu einer konstruktiven Aufgeschlossenheit. Es ist ja auch nicht leicht, in einer sehr komplex gewordenen Lebenswelt einigermaßen gute Entscheidungen zu treffen. Der florierende Ratgebermarkt zeigt, dass ein großes Bedürfnis nach Orientierung besteht. Wie also kann es gehen? Nach meiner Erfahrung lässt sich Qualität immer dann besonders gut vermitteln, wenn sie zu einem guten Leben beiträgt, also etwa bei kulinarischen Genüssen. Inspiration liefern übrigens auch Unternehmen, die ihr Handeln an hohen Qualitätsansprüchen ausrichten. Dort ist oft viel Wissen und Begeisterung vorhanden. Und was die Werkbundkisten betrifft, so finde ich die nach wie vor inspirierend, weil sie sehr anschaulich waren, buchstäblich zum Anfassen. Nur müsste heute deutlicher als damals zwischen Qualität und Geschmacksvorlieben unterschieden werden; Qualität ist keine Stilfrage. Dies gesagt, gehört nach meiner Überzeugung so etwas wie Qualitätserziehung in jede Schule.

Also sind der Blick und das Verständnis für Qualität geknüpft an die jeweilige Bildung des Individuums?

Auf eine bestimmte Weise, ja. Wer zum Beispiel von Kindheit an gute Lebensmittel zu sich nimmt, wird als Erwachsener besser schmecken können als jemand, der mit überwürztem Fast Food aufwuchs. Ich finde jedoch, dass man sich hier vor Klischees hüten und zwei wichtige Aspekte nicht aus den Augen verlieren sollte. Zum einen hängt das Verständnis für und die Wertschätzung von Qualität nicht von formaler oder gar akademischer Bildung ab. Was Qualität ausmacht, lernt man ja in der Regel nicht an der Uni. Es handelt sich viel eher um ein eher pragmatisches Alltagswissen, zum Beispiel um Warenkunde, praktisches Know-how oder auch um Kritikfähigkeit. Und zum anderen ist es wichtig zu betonen, dass es nie zu spät ist, sich mit Qualität zu beschäftigen und zum Beispiel seinen Gaumen zu schulen. Da können in späteren Lebensphasen, in denen man unter Umständen mehr Geld oder ein stärker qualitätsinteressiertes soziales Umfeld hat, spannende Entwicklungen einsetzen.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um sich für mehr Qualität im Alltag entscheiden zu können? Welche Optionen gibt es, möglichst niedrigschwelligen Zugang zu Qualität zu ermöglichen?

Ganz grundsätzlich müssen Geld, Zeit und Wissen vorhanden sein. Die sind natürlich ungleich verteilt und in jedem Einzelfall anders kombiniert. Jemand mag über viel Zeit für die Beschäftigung Qualität verfügen, aber über wenig Geld, um sich Zugang zu gut gemachten Dingen zu verschaffen. Oder umgekehrt. Andere haben vielleicht ein prall gefülltes Konto, aber weder Sinn für Qualität noch eine Ahnung davon, wie man sie entdecken und genießen kann. Insofern kommt es erst einmal darauf an, diese drei Elemente einigermaßen günstig zu verteilen. Sodann halte ich es für wichtig, Qualität nicht an soziale Distinktion oder Geschmacksfragen zu koppeln. Das erschwert nur unnütz den Zugang oder provoziert sogar Gegenreaktionen. Es kommt vielmehr darauf an, die Vielfalt der Möglichkeiten aufzuzeigen und inspirierende Beispiele dafür zu geben, wie Menschen aus dem jeweils Gegebenen das Beste machen.

Sie erwähnen in Ihrem Buch die Idee einer neuen Alltagskunde – also einer Art Lebenskunstlehre, die bis in die Antike zurückreicht, als Theorie der sinnlichen Wahrnehmung und Wertung. In einem Anflug an Träumerei hatte ich auch schon einmal einen Staat herbeigewünscht, der kulturell grundierter verfasst ist. Wo Kultur nicht als Verwaltungsressort begriffen wird, das Gelder für Kulturinstitutionen verteilt, sondern als ein kulturell-ästhetischer Maßstab (nicht der alleinige, aber ein wichtiger), der sich bei der Beurteilung von öffentlichen und sozialen Fragen als roter Faden hindurchzieht. 

Ist das Streben nach Qualität nur Privatsache, das man im Hinblick auf ein persönliches gutes Leben für sich verfolgen kann? Oder gibt es auch Möglichkeiten, den Maßstab für Qualität im sozialen und politischen Raum zu heben? Und wenn ja, wie könnte das gelingen?

Wir müssen uns klarmachen, dass jedes Gemeinwesen von bestimmten kulturellen Überzeugungen durchzogen ist. Die Frage ist nur: von welchen? Wenn eine Gesellschaft mehr Geld für Motorenöl als für Olivenöl ausgibt, dann sagt das etwas über die zugrundeliegenden Werte aus, auch wenn auf Nachfrage Gegenteiliges behauptet wird. Die politische Frage verweist also zum einen auf eine Auseinandersetzung über das, was uns eigentlich wichtig ist und wie wir leben wollen. Auf der anderen Seite gibt es reichlich historische Beispiele dafür, wie gut gemeinte staatliche Initiativen nach Hinten losgehen. Damit ist dann auch niemanden geholfen. Deshalb plädiere ich dafür, einen ermöglichenden Ansatz zu verfolgen, also mit politischen Mitteln Umstände zu schaffen, die es den Einzelnen leichter machen, ein auf Qualität ausgerichtetes Wirtschaften und Leben zu verwirklichen.

 

Dirk Hohnsträter ist Kulturwissenschaftler, Autor und Experte für kulturelle Aspekte der Wirtschaft. Er leitet die Forschungsstelle Konsumkultur an der Universität Hildesheim und lehrte an Hochschulen im In- und Ausland, darunter drei Jahre als Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin, fünf Jahre in Budapest und ein Jahr in den Vereinigten Staaten. Zu seinen aktuellen thematischen Schwerpunkten zählen ästhetische Ökonomie, materielle Kultur und Textproduktion.

Qualität!
Von der Kunst, gut gemachte Dinge zu entdecken, klug zu wählen und genussvoll zu leben.
Dirk Hohnsträter
Brandstätter Verlag
ISBN: 978-3-7106-0509-3
232 Seiten, Ganzleinenband (Hardcover)
25,00 Euro

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Fotos von: Julia Steinigeweg und Brandstätter Verlag