Moderne Opulenz

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DMS im Gespräch mit Meissen × ODEEH.

Wie kommt man als Modedesigner dazu, die Kreativdirektion von Meissen zu übernehmen?

Vielleicht hat Meissen gesehen, dass zur Kreativität auch geschäftliche Erfahrung hinzukommen muss. Jahrzehntelang haben wir „Fehler“ woanders machen dürfen, erst dann haben wir Odeeh gegründet, damals zu dritt mit Kevin Stange, der lange im Vertrieb für Bottega und Brioni tätig war. Er hat sich über Jahre ein enormes Netzwerk aufgebaut, von dem wir alle drei profitiert haben. Das war ein großer Vorteil, dass wir nicht erst mit der Gründung anfangen mussten, eines aufzubauen.

 

In der aktuellen Modebranche beobachten wir ein schnelles Kommen und Gehen der Unternehmen. Achtland etwa, das hochgelobte Duo, bekam alles an Aufmerksamkeit und Awards in der Frühphase, was man sich wünschen kann. Besser ging der Start nicht. Und dennoch gibt es sie heute nicht mehr.

Ja, da wird zu schnell geschossen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland unter einem „Wir müssen den Nachwuchs fördern!“-Komplex leiden. Ich finde, man muss nicht junges, sondern gutes Design fördern. Nicht alles, was sich als Nachwuchs darstellt, ist fördernswert oder hat das Potential, sich selbstständig am Markt zu behaupten. Da findet oft eine Bewertung statt, die hinterher nicht produktseitig gedeckt ist. Man vergisst, dass das Neue auch gut sein muss, dass es auch in einem internationalen Kontext funktionieren muss.

 

Aber das ist eine normative Setzung: Bewerten zu können, was in Zukunft gut sein wird.

Ich glaube an das marktwirtschaftliche Ausprobieren. Ich würde jetzt jedem, der anfängt, raten, erstmal einfach loszulegen. Einfach machen. Ich weiß, es ist leicht gesagt, und wir hatten beide damals Glück. Otto hat bei Lagerfeld anfangen können, ich bei Escada, also beides Unternehmen, die zu der damaligen Zeit eine Steilkurve hinlegten. Wir konnten in einer solchen Struktur schnell lernen.

 

Zu Eurer Doppelrolle, die ihr mit Meissen habt: ist das eine Ausnahme oder seht ihr euch als kreative Consultants auf der einen Seite und Modeschöpfer auf der anderen?

Wir sind Kreativdirektoren. Wir begleiten das Unternehmen in der Projektentwicklung – bei neuen Projekten, ebenso aber auch in der Außendarstellung. Das ist eben bei Meissen aus
unserer Sicht lange in den Hintergrund geraten. Man dachte, die lange glorreiche Tradition des Hauses würde das von selbst erledigen. Aber das Porzellan von Meissen braucht eine extreme Bühne.

Wie habt ihr das analysiert, um zu einem kreativen Konzept zu kommen?

Im Fall Meissen sind wir ins Archiv gegangen, haben uns mit dem Verständnis des Hauses auseinandergesetzt, mit der Geschichte Meissens. Meissen kommt aus dem Barock. Darüber haben wir den Begriff der modernen Opulenz definiert, der jetzt so eine Art Guideline darstellt. Wir versuchen, eine anti-minimalistische Handschrift zu spielen, zu sagen, es darf auch etwas mehr sein, eine Vase muss nicht alleine stehen, die kann auch mit Blumen gut sein …

 

… Ornament ist kein Verbrechen …

… genau, Ornament ist kein Verbrechen. Es entsteht eine neue Offenheit für dieses Gefühl.

 

Hast du das Gefühl, man kann einen spezifisch deutschen Charakter aus dieser guten bis luxuriösen Manufakturproduktion herausarbeiten? steil bergab.

Wir hängen an vielen Stellen in einer Bauhaus-Ästhetik fest, in einer Darstellung, die damit verknüpft ist… mir fehlt das lustvolle. Wir versachlichen die Dinge, berufen uns auf Pünktlichkeit und Qualität, aber sie spielen nicht die ausschlaggebende Rolle, wenn es um den emotionalen Ansatz geht, den man benötigt. Es geht um Produkte, die wir nicht brauchen, da muss man etwas anzünden, dass jemand sie trotzdem haben will. Da hat Meissen natürlich eine unglaubliche Basis, weil sie aus dem Barock kommt, und der August damals das Porzellan erfunden hat, etwas machen wollte, was es noch nicht gibt… es geht nicht mehr darum, wie Meissen damals begonnen hat, sondern darum: was würde er heute tun? Und da wären sicherlich wahnsinnige Ansätze dabei, und da versuchen wir, weiterzudenken.

 

DIESES INTERVIEW IST EIN AUSZUG AUS DEM BUCH:
HANDMADE IN GERMANY. MANUFACTORY 4.0.
HERAUSGEBER: PASCAL JOHANSSEN
GEBUNDENE AUSGABE: 240 SEITEN
VERLAG: ARNOLDSCHE; AUFLAGE: 1 (1. JULI 2019)
SPRACHE: ENGLISCH, DEUTSCH
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
WEBSEITE: https://www.meissen.com/de/