Die Deutsche Manufakturenstraße bildet eine Gemeinschaft ab – eine Gruppe an Manufakteuren, Kunsthandwerkern und Designern, die wahrscheinlich überwiegend ähnliche Werte teilen. Interessant ist, dass doch viele auf dem Land wirken und nicht unbedingt in großen Städten.
Das ist die Ausnahme. Rund 77 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt in Städten. Warum zieht es den Menschen in die Stadt, weshalb sind Städte überhaupt entstanden und warum gehören sie zum Menschsein dazu? Greg Woolf geht diesen Fragen in seinem neuen Buch, erschienen bei Klett-Cotta, nach und erzählt vom Aufstieg und Fall antiker Städte. Seine Geschichte der Stadt ist zugleich eine große Darstellung des Mittelmeerraumes, die zudem ein Verständnis dafür schafft, wie sich unsere Städte in Zukunft entwickeln werden.
Der britische Althistoriker skizziert damit die Anfänge der Zivilisation: Unsere Vorfahren haben zunächst häufig verstreut in Dörfern gelebt – bis zum Ende dieses Jahrhunderts, so Woolf, jedoch werden wir fast alle in Städten leben. Sein Buch erzählt vom Aufstieg und Fall antiker Städte vom Ende der Bronzezeit bis zum Beginn des Mittelalters. Es ist eine Geschichte von Krieg und Politik, Pest und Hungersnot, Triumph und Tragödie und präsentiert sich in ihrer einzigartigen Ambivalenz: mal großartig und erfolgreich, mal schäbig und fruchtlos. Doch wie kam es dazu, dass Städte überhaupt entstanden und wie konnten sie sich in offensichtlich wenig verheißungsvollen Umgebungen halten, wachsen und gedeihen? Wie mochte es gewesen sein, solche urbane Welten zu bewohnen, die so anders sind als die unseren – Städte, die jede Nacht in der Dunkelheit versinken, Städte, über denen sich die Tempel der Götter auftürmten, Bauernstädte, Sklavenstädte, Soldatenstädte? Die wechselvolle Geschichte der antiken Städte umgreift zugleich die Geschichte von Generationen von Menschen, die sie erbaut und bewohnt haben, und die uns Monumente hinterlassen haben, deren Ruinen nüchterne Mahnmale für das 21. Jahrhundert sind.
Die Antike wird häufig für ihre Städte gepriesen. Dieses Buch ist kein weiterer Lobgesang, so Woolf. Stattdessen erzählt es davon, wie spät Städte in der antiken Mittelmeerwelt auftauchten, wie klein die meisten waren und wie gefährdet das städtische Leben während der gesamten antiken Periode blieb. Antike Städte erblühten zu ihrer Großartigkeit in unserer Phantasie. Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir sind immer noch im Bann der neoklassizistischen Denkmäler moderner Metropolen; bei vielen von ihnen handelt es sich um Hauptstädte neuerer Weltreiche, etwa Paris und London, Washington und Berlin, St. Petersburg, Madrid und Rio. Die Antike inspirierte deren Architekturen, allerdings bewegte sie sich architektonisch in einem viel kleineren Maßstab. Unsere Gewohnheit, die antike Welt durch die Augen ihrer am besten ausgebildeten Einwohner zu sehen, die sich über Jahrhunderte hinweg immer wieder einem städtischen Ideal verschrieben hatten, war dabei nicht hilfreich. Die Autoren der griechischen und lateinischen Literatur selbst wussten nicht, wie ihre städtische Welt entstanden war, und sie projizierten in ihre Vergangenheit eine Welt großer Städte zurück, die nie wirklich existiert hatte. Troja war nach den Maßstäben der ausgehenden Bronzezeit eine gewaltige Festung, dabei erstreckte es sich über kaum zwanzig Hektar und hatte wahrscheinlich eine Einwohnerschaft zwischen 5.000 und 10.000 Menschen. Das Rom, in dem Vergil seine Aeneis verfasste, erstreckte sich über eine Fläche von fast 1.800 Hektar und hatte fast eine Million Einwohner. Kein Wunder, dass die Berichte aus dem frühen ersten Jahrtausend so anachronistisch waren.
Rom war außergewöhnlich, so Woolf. Forschungen in den letzten dreißig Jahren hätten den geringen Umfang der meisten antiken Städte offengelegt. Woolfs Buch beginnt vor einem weiten Horizont und verengt seinen Blickwinkel allmählich. Der erste Teil behandelt die Vorgeschichte urbanen Wachstums weltweit und folgt den Entwicklungen in einer bestimmten Region – dem antiken Nahen Osten – bis zum Ende der Bronzezeit. Das mediterrane Städtewesen war ein Ableger dieser Entwicklungen, obendrein ein später. Der zweite Teil verfolgt die Herausbildung und das Anwachsen städtischer Netzwerke um das Mittelmeer herum in der ersten Hälfte des letzten Jahrtausends v. Chr. Einige Dörfer wurden durch kleine Städte ersetzt, und die Landschaften und Gesellschaften, die sie organisierten, wurden miteinander verbunden. Der dritte Teil folgt den brutaleren Verknüpfungsgeschichten, dem Aufkommen von Imperien und mit diesen den ersten im eigentlichen Sinn großen Städten der Region. Ein kurzer vierter Teil umreißt eine Art Kehrtwendung: Die Horizonte rückten wieder eher zusammen, große Städte schrumpften. Doch verschwanden Städte nie vollständig, ebenso wenig wie die Ideen und Technologien, die im Zusammenhang mit ihrem Bau entstanden waren. Diese Ideen, Technologien und häufig die physischen Überreste großer Städte wurden in Byzanz weiterverwendet, im Kalifat, und in kleinen mittelalterlichen Hauptstädten im Westen wie Aachen, was Stoff für eine ganze Reihe nachklassischer Urbanismen lieferte, von denen einige auf andere Kontinente exportiert wurden. Wer die städtebauliche Debatte (mit all ihren Problemfeldern Mieten, Eigentumsrechten, etc.) verfolgt, ist glücklich, mit Woolfs Buch daran erinnert zu werden, dass „Stadt“ nicht nur unter der Perspektive der privaten Immobilienvermarktung gesehen werden darf; zu schnell vergessen wir, das sie einen kulturellen und gesellschaftlichen Kern unseres Lebens darstellt.
Metropolis – Aufstieg und Niedergang antiker Städte
Greg Woolf
Klett-Cotta Verlag
ISBN: 978-3-608-98370-8
608 Seiten, gebundenes Buch mit Schutzumschlag
1. Auflage, erschienen 2022
35,00 Euro
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Titelfoto: Meisterrat Berlin-Brandenburg e.V.