Einzigartigkeit schaffen

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DMS im Gespräch mit Jochen Benzinger Uhrenunikate.

 

Seit wann produzieren Sie Uhren in dieser Art?

Stephanie Benzinger (SB) Angefangen hat alles 1985, als mein Mann seine Werkstatt übernommen hat. Damals lag der Schwerpunkt seiner Arbeit noch im Schmuckbereich, aber bald kamen Anfragen aus der Uhrenbranche hinzu. Und so fing im Grunde alles an mit dem Veredeln von Uhrwerken für große, namhafte Firmen. Seit der Jahrtausendwende produzieren wir unsere eigenen handgefertigten Uhrenunikate.

Das war bestimmt eine Herausforderung.

Das kann man so sagen. Anfangs hatten wir im Ausland mehr Erfolg als in Deutschland. Deutsche Kunden sind eher vorsichtig in ihrer Kaufentscheidung. Niemand lässt sich aus Emotionalität zu einem Kauf verleiten. Der Gedanke, eine teure Uhr im Falle eines Falles evtl. nicht mehr durch den Hersteller reparieren lassen zu können, weil es den in 10 oder 15 Jahren vielleicht nicht mehr gibt – das ist ein Umstand, der solche Käufer umtreibt. In anderen Ländern ist man da vielleicht gelassener.

Welche Funktion hat eine Uhr heute eigentlich noch?

Das Lesen der Uhrzeit selbst ist eigentlich zweitrangig geworden, jeder hat heute ein Handy und schaut da drauf und letztlich ist diese Zeitinformation sogar genauer. Aber abgesehen davon ist eine Uhr eben auch fast das einzige Schmuckstück, das ein Mann tragen kann.

Stimmt, ich trage auch eine Omega-Uhr, aber die geht seit 20 Jahren nicht mehr. Ich trage sie trotzdem.

Schicken Sie sie vorbei – wir kümmern uns darum! Spaß beiseite: jeder hat seine Vorlieben. Unser Alleinstellungsmerkmal ist das uralte Handwerk des Guillochierens. Dabei wird mit einer sog. Guillochiermaschine ein geometrisches, sich regelmäßig wiederholendes Muster auf das entsprechende Werkstück graviert, wobei der Begriff „Schneidewerkzeug“ korrekter ist, denn die Bedienung erfolgt komplett von Hand. Diese Technik entwickelte sich aus dem „königlichen Handwerk“ des Kunstdrechselns, in dem vom 16. bis 18. Jahrhundert vom Kaiser bis zum Landgrafen fast die gesamt Hocharistokratie ausgebildet wurde. Denn dieses Handwerk versinnbildlichte deutlicher als jedes andere das damalige Weltbild, in dem sich alles um den Souverän dreht – oder zu drehen hatte. Aus diesen fürstlichen Drechselmaschinen entwickelten die Uhrenkünstler des 18. und 19. Jahrhunderts die wunderschönen Guillochiermaschinen, mit denen beispielsweise Breguet seine einzigartigen, typischen Zifferblätter geschnitten hat. Anfangs des 20. Jahrhunderts brachte der Hofjuwelier des russischen Zaren, Carl Peter Fabergé, die Guillochierkunst zu ihrer wahren Vollendung, indem er das Guilloche als Untergrund für seine berühmte Emaille-Arbeiten benutzte, die in den nach ihm benannten Fabergé-Eiern ihren Höhepunkt fanden. Leider ist diese Kunst seit Mitte des 20. Jahrhunderts praktisch vergessen.

Und Sie haben sie wiederbelebt?

In gewisser Weise schon. Wir versuchen aber, den Menschen dieses Handwerk näherzubringen, indem wir sie in unsere Werkstatt einladen, wo sie sich einen Überblick verschaffen können über unsere Maschinen, die größtenteils
über 100 Jahre alt und trotzdem noch täglich im Einsatz sind. Wir scheuen auch den Aufwand nicht, unsere kleinste Maschine, die immerhin ca. 500 kg wiegt, auf Messen und Ausstellungen mitzunehmen, um so vor Ort zu zeigen, was dieses alte Handwerk ausmacht und wie es in unseren Uhren zum Einsatz kommt. So erreichen wir sogar mehr potentielle Kunden als über eine Anzeige in einem Magazin, denn dort können wir letztlich „nur“ das fertige Produkt zeigen, aber nur bedingt, warum es so einzigartig ist.

 

Bleibt Ihr Handwerk eigentlich seit Jahrhunderten unverändert oder passiert da noch ein mal etwas Neues?

Bedingt durch die Technik ist das Handwerk selbst nicht groß veränderbar. Der Reiz des Guillochierens liegt vielmehr darin, dass die Werkstücke, die wir bearbeiten, in einer schier unendlichen Vielfalt dekoriert werden können! Ob das jetzt Schmuck ist im Sinne von Medaillons, Anhängern, Armbändern oder die berühm ten Fabergé-Eier, die bei uns im Hause guillochiert werden. Unser Hauptaugenmerk liegt aber natürlich auf den handgeschnittenen Zifferblättern unserer Uhren, die dadurch unverwechselbar werden. In Kombination mit dem Handskelettieren und -gravieren sind dem Einfallsreichtum meines Mannes beim Bau eines Unikats keine Grenzen gesetzt.

Würden Sie mehr arbeiten wollen als jetzt? Mehr Aufträge?

Wir bauen im Jahr ca. 100 eigene Unikate und erledigen Auftragsarbeiten verschiedenster Art von anderen Firmen. Damit sind wir ganz gut ausgelastet.

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Buch:
Handmade in Germany. Manufactory 4.0.
Herausgeber: Pascal Johanssen
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: ARNOLDSCHE; Auflage: 1 (1. Juli 2019)
Sprache: Englisch, Deutsch
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
Website: https://www.jochenbenzinger.de/