Die Wunschmaschine in den Händen

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Zeitguised ist ein achtköpfiges Kollektiv von Designern, Künstlern und Programmierern um den Architekten Henrik Mauler. Das Designstudio aus Berlin mischt CGI-Animationen und Textildesign mit Skulpturen und Algorithmen. Bei Zeitguised finden angewandte Kunst und freie Kunst zueinander.

Ihr arbeitet im undurchsichtigen Grenzbereich zwischen Kunst und Design. Werdet ihr oft auf einen Bereich festgelegt?

Viele fragen, ob das Design oder Kunst ist, was wir machen – dabei finden wir es nicht zeitgemäß, diese Grenze zu ziehen. Viele unserer Arbeiten sind funktional und gleichsam zweckfremd. Es sind eher konzeptionelle Denkanstöße, die man auch konsumieren kann.

Diese Freude am Experiment beobachten wir im Design und Kunsthandwerk generell, da passiert gerade viel.

Genau, man sieht das am Beispiel der Keramik. Das ist eine der offensten, freiesten Kunstbewegungen geworden, die aus dem Kunsthandwerk kommt. Was darin international verhandelt wird, ist schon sehr weit. Die neue Keramik bringt alles zusammen, Materialität, Abstraktion, ein halluzinatorisches Narrativ, sie hat sich im Schatten der großen Künste entwickelt, was sehr spannend ist.

Deine Arbeiten verorte ich auch in diesem freien Bereich, den man aber digitales Kunst­handwerk nennen müsste.

Genau, wir kommen von der anderen Seite. Wir haben sozusagen die Wunschmaschine in den Händen, wir können alles herstellen. Dann kommt die Frage: was wünscht man sich, wenn man alles, was man sich wünscht, auch machen kann? Das ist eine ganz aufregende und trickreiche Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Viele Künstler und Designer, die mit digitalen Medien arbeiten, verfallen immer noch darin, sie als Dokumentations- und Rationalisierungsmedium zu nutzen. Das machen, was man früher auch schon konnte, nur schneller und billiger. Aber damit wird man dem Medium nicht gerecht. Wir versuchen bei unseren Herangehensweisen an Gestaltung und Form diese Manipulierbarkeit und Kombinierbarkeit, die Gewichtslosigkeit der Daten die entsteht, mitzudenken.

Kann man von einem digitalen Handwerk sprechen?

Es ist wahnsinnig handwerklich! Die meisten Leute denken, man drückt da auf einen Knopf und die Maschine produziert den Rest, aber alles, was computerunterstützt gemacht wird, ist extrem handwerklich, das ist wie Glasbläserei oder Modellbau. Die Verknüpfbarkeit und Manipulierbarkeit muss ausgearbeitet werden, dann entsteht etwas Neues.

Was sind aus Deiner Sicht die Gemeinsamkei­ten und Unterschiede des digitalen Handwerks im Vergleich zum klassischen Handwerk?

Die Hand-Auge-Koordination mit der Ermittlung durch das Medium, die Handgesten und alles, was damit an Fehlern und Komplexität entsteht, ist ja Teil des handwerklichen Prozesses. Dieser hat zunächst einen intellektuellen Ausgangspunkt. Das haben wir bei einer Serie mit algorithmischem Design gemerkt. Es ging um den Versuch, einen Designprozess zu modellieren, der für einen arbeitet und unerwartete Ergebnisse, die eine wiedererkennbare Handschrift haben und dennoch nicht vorhersehbar sind, erzeugen kann. Das sind die beiden Ansätze, die wir in den letzten Jahren verfolgt haben: auf der einen Seite steht die Herausforderung, die Komplexität, die durch den menschlichen Fehler und die Nicht-Wiederholbarkeit einer Muskelbewegung beizubehalten – auf der anderen Seite sehen wir gleichzeitig die Komplexität durch den mathematisch modellierbaren Prozess, der Neues generiert. Es geht um Fehler und Spuren.

Die Autorenschaft ist also das entscheidende Element der handwerklichen Arbeit?

Unbedingt. Die Hand-Auge-Koordination, das intellektuelle Spiel, das Wissen, die Erfahrung und die Autorenschaft – all das geht Hand in Hand mit der Maschine, da ist eine Art Gleichberechtigung am Horizont, außer dass die Maschine nichts will und nur abbildet. Wir sind Gestalter, die beides machen, die Algorithmen wie auch das handwerkliche Design. Wir unterschätzen leicht, wie groß der Stellenwert des Handwerklichen eigentlich ist.

Kannst Du da ein Beispiel aus Deinen Projek­ten herausgreifen, an dem das Handwerkliche am digitalen Handwerk begreifbar wird?

Unsere virtuelle Modelinie Void Season wäre das. Da existiert quasi nichts davon, es ist alles künstliche Geometrie – aber die muss von Hand erstellt werden. Man muss fast klassisch Schnittmuster zeichnen und sie zusammenfügen. Die Farben, die Oberflächen müssen erstellt werden, das ist ein ganz kunsthandwerklicher Prozess, nur eben mit digitalen Tools, und ohne physisches Feedback. Wir haben dadurch eine ganz andere Art von Kontrolle, eine neue Art von Erzählung, die man zeigen kann in ihren Abstraktionsgraden, die möglich ist. Bei einem anderen Projekt, das wir Intersections nennen, haben wir mit Künstlern und Kunsthandwerkern zusammengearbeitet. Unsere Taschen zum Beispiel wurden von einem Algorithmus in hunderten Variationen entworfen und dann von Hand in Schnittmuster genäht. In diesem Prozess prallen schon Welten aufeinander.

Welche Themen inspirieren Dich gerade?

Uns interessiert das Thema Prothesen. die es noch nicht gibt und die uns nahebringen und verführen, sie in die Realität zu bringen. Eine Prothese der Bilderkommunikation, die wir schon lange zuvor hatten, ist ein Buch – wenn man es liest, lässt man sich eine Geschichte im Kopf modellieren, das ist ein Zugang zu einer Welt, die nicht physisch greifbar ist aber doch existiert. Dieses Prothesenthema ist ganz eng verknüpft mit allem, was an Werkzeugen, Prozessen und Techniken digital daherkommt.

Sind die Denkanstöße, die ihr z.B. mit der Beschäftigung mit Prothesen entwickelt, auch ein Aufruf dazu, unser derzeit sehr technizis­tisches Weltbild zu relativieren?

Relativieren ist vielleicht der richtige Begriff. Viele haben das Gefühl, dass diese Transformation von außen an irgendeiner Stelle geplant worden ist. Ich sehe diese innovativen technischen Entwicklungen eher als Prozess an, der viele positive Potentiale birgt. Ich denke, dass mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten entstehen und die Chancen zu wirklichen Verbesserungen überwiegen. In unserer aktuellen Situation, in der wir uns als Spezies befinden – Überproduktion, Konsum, Umwelt verschmutzung, Ressourcenverschwendung – steckt viel Korrekturpotential. Die Maßstäbe der Produktion und des Konsums können auf das Individuelle zurückgeschraubt werden. Ich kann nicht abschätzen, wie viele Generationen das dauert, aber es passiert jetzt schon etwas – wenn man sieht, dass Bio-Essen schon im Discounter angekommen ist. Diese Gestaltungsmöglichkeiten sind aber in der Top-Down-Struktur sehr begrenzt. Das wird sich eher von unten ausbreiten und sich von allein beschleunigen. Die großen Ideen wachsen im Kleinen.

 

 

DIESES INTERVIEW IST EIN AUSZUG AUS DEM BUCH:
HANDMADE IN GERMANY. MANUFACTORY 4.0.
HERAUSGEBER: PASCAL JOHANSSEN
GEBUNDENE AUSGABE: 240 SEITEN
VERLAG: ARNOLDSCHE; AUFLAGE: 1 (1. JULI 2019)
SPRACHE: ENGLISCH, DEUTSCH
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
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