Dem Tempo trotzen

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DMS im Gespräch mit Anta Leuchten.

In der Nähe von Hamburg entstehen seit einem halben Jahrhundert die exklusivsten Leuchten in Norddeutschland. Kristian Kracht produziert alles vor Ort, bleibt aber bescheiden. Es geht ihm um gutes Licht, klare Form und Qualität in der Verarbeitung. Klingt einfach, ist es aber nicht.

Anta gibt es seit 45 Jahren. Sind Sie noch eine Manufaktur?

Ja, sonst könnten wir nicht auf diesem Niveau produzieren. Wir fertigen vom rohen Messingklotz bis zur Leuchte alles hier im Hause an.

Das ist aber auch nicht immer einfach, oder?

Die Probleme können wirklich sehr weit gehen. Zum Beispiel hat die EU beschlossen, dass für die Berechnung der Müllkosten davon ausgegangen wird, dass eine Leuchte zwei Jahre hält. Wir haben Leuchten hier, die 35 Jahre halten. Dann benutzen wir noch sehr viele Edelmetalle, die an Schrotthändler verkauft werden können – in anderen Worten: wir produzieren nicht annähernd so viel Müll, wie in der Berechnung ausgewiesen wird. Diese EU-Richtlinie geht völlig an der Realität vorbei.

 

Weil EU-­Richtlinien sich am Maßstab der Industrie orientieren?

Die Richtlinien haben bestimmt ihre Berechtigung bei Produkten, die nicht für Langlebigkeit produziert werden, auch bei Plastikteilen finde ich das gerecht, und überall, wo nicht nachhaltig produziert wird. Aber Produkte, die per Handarbeit gemacht werden und die nach zehn Jahren immer noch mit einem Handwerksberuf repariert werden können, sieht es anders aus.

 

EU­-Richtlinien gehen also an den Manufakturen vorbei?

Manufakturen werden schlichtweg nicht gesehen, es gibt ja keine Möglichkeit, sich zu melden. Ich finde es auch schwierig, die EU-Bestimmungen überhaupt zu verstehen, zu wissen, wie sie reell umgesetzt werden, in welchen Ländern man wie verkaufen muss, das ist schwierig bis gar nicht nachvollziehbar.

Was wäre da eine Hilfe?

Bei EU-Richtlinien wäre es schon sinnvoll, wenn es eine spezielle Internetseite, wohlgemerkt in der jeweiligen Landessprache gäbe, auf der man die Richtlinien so dargestellt bekommt, dass man sie umsetzen kann. Allein für Licht wurden die EU-Labels so oft wieder geändert, immer wieder neue Zeichen und Regeln erfunden, man kann das als kleine Manufaktur nicht permanent verfolgen.

Wäre das nicht eine Aufgabe für einen Branchenverband?

Manchmal habe ich das Gefühl, dass es kaum Fachleute gibt, die das alles überblicken können, was nötig wäre, um eine Regelung
zu verstehen oder die Gesetzgebung vielleicht zu beeinflussen. Das Leuchtengeschäft ist ein sehr wildes Gebiet momentan.

Bei dieser Entwicklung steigert sich wahrscheinlich auch der Innovationsdruck, das Tempo, das Sie gehen müssen, oder?

Das Tempo ist zu schnell. Es gibt ganz wenige Bereiche, in denen kein Wandel mehr möglich ist. Demnächst könnte z.B. Leuchtmittel mit Lasertechnik bei Leuchten Einzug halten. Dieser permanente Wandel hat auch Auswirkungen auf unsere Personalplanung. Die Einarbeitungsphase für unsere Entwicklungsleute im Unternehmen ist ein langwieriger Prozess. Dann ändert sich noch jeden Tag etwas in der Branche, und schon muss man umdenken, bevor die Sachen vom Markt wieder verschwinden. Dieses Innovationstempo ist auch für die Endkunden schwierig, wenn wir z.B. eine Lampe konstruieren, sie zwei bis drei Jahre lang verkaufen und sie dann aber nicht im Sortiment weiterführen können, weil es keine Bauteile mehr gibt. Mit unserer Erfahrung haben wir aber eigene Strategien entwickelt, um uns davon nicht allzu sehr abhängig zu machen.

 

 

DIESES INTERVIEW IST EIN AUSZUG AUS DEM BUCH:
HANDMADE IN GERMANY. MANUFACTORY 4.0.
HERAUSGEBER: PASCAL JOHANSSEN
GEBUNDENE AUSGABE: 240 SEITEN
VERLAG: ARNOLDSCHE; AUFLAGE: 1 (1. JULI 2019)
SPRACHE: ENGLISCH, DEUTSCH
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
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