Dekonstruktion der Tasche

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DMS im Gespräch mit Tsatsas.

In der Feintäschnerei gibt es keine berichtenswerten technischen Innovationen, oder?

Es verändert sich recht wenig. Das Einzige, was mir bekannt ist, ist das Cutten mit Laser. Wir schneiden jedoch alles von Hand.

Weil das Lasercutten keinen Vorteil bietet?

Nur bei sehr hohen Stückzahlen, aber wir bewegen uns bisher noch nicht in diesem Feld. Lasercutting lohnt sich für größere Produktionen, doch ist es für Manufakturen auf Grund der hohen Anschaffungskosten momentan noch uninteressant.

Ich mag vor allem Euren Koffer sehr.

Der Koffer existiert nur als Unikat, er war Teil eines Projektes mit dem Wallpaper Magazin. Um damit wirklich reisen zu können, müssten wir auf Grund des Eigengewichts und der Praktikabilität in andere Materialien gehen, die in der Verarbeitung für uns kompliziert und sehr kostenintensiv sind. Zur Zeit gestalten wir wieder einen Koffer, allerdings keinen Trolley, sondern einen Koffer zum Tragen.

Bleiben diese Koffer Einzelstücke?

Nein. Wir entwerfen diesen Koffer gemeinsam mit dem Architekten David Chipperfield. Seit drei Jahren arbeiten wir mit ihm an diesem Projekt, im Mai 2019 wird der Koffer gelauncht. Wir werden ihn auf Bestellung produzieren.

Arbeitet ihr oft mit Architekten?

Ich bin selbst Architektin, mein Mann Dimitrios ist Industriedesigner. Er ist in der Manufaktur seines Vaters mit dem Lederhandwerk groß geworden und kennt fast jeden Handgriff. Wir kombinieren also Elemente und Prozesse aus Architektur und Design mit dem klassischen Handwerk. Diesen Prozess findet man im Accessoire-Bereich doch eher selten. Wenn du dir einmal Taschenmodelle anschaust, gibt es weltweit vielleicht zehn klassische Formen, die verarbeitet werden. Dann spielt man mit Farben und Dekorationen, hier und da eine schöne Schnalle, aber es bleibt immer derselbe Taschenentwurf. Wir versuchen hingegen, nicht in diesem klassischen Handtaschenmuster zu denken, und sehen die Tasche als Produkt, bei dem wir die Einzelteile de- und rekonstruieren.

Habt ihr weitere Mitarbeiter?

Ja, aber es ist schwierig, gut ausgebildetes Personal zu finden, vor allem jüngere Täschner. Wir haben sogar schon angefangen, im europäischen Ausland nach Feintäschnern zu suchen, doch es ist ein Problem, mit dem wir bis heute zu kämpfen haben. Es gibt in unserem Bereich sehr wenige Ausbildungsplätze und die Auszubildenden werden fast immer direkt von größeren Unternehmen übernommen.

Aha, also Ihr habt also auch die klassische Nachwuchsproblematik, die viele Manufakturen haben.

Ja, definitiv. Es sind aber auch noch andere Dinge. Wenn Du eine Manufaktur führst, benötigst Du einen hohen finanziellen Einsatz, um zu starten. Man benötigt Nähmaschinen, Spaltmaschinen, Schärfmaschinen, Leder – da steht ein hoher Materialeinsatz dahinter. Und Banken stehen Gründungen in einem Nischen-Handwerk, wie dem unsrigen, zunächst leider immer skeptisch gegenüber. Es heißt dann schnell: Taschen gibt es ja wohl genug auf der Welt.

Der Banker versteht wahrscheinlich das Psychogramm Eurer Zielgruppen nicht.

Da wird immer der typische Industrie-Kunde vorausgesetzt, als gäbe es nur ein Käuferprofil auf der Welt. Wir haben sehr anspruchsvolle Kunden, und ein großer Anteil von ihnen sind wiederkehrende Kunden. Von ihnen hören wir länger nichts, doch dann melden sie sich mit dem Wunsch nach einer Reisetasche oder einem Portemonnaie. Man merkt, dass sie lange mit ihrer Tasche glücklich waren und sind, sie  jeden Tag nutzen und sich irgendwann sagen, jetzt könnte ich mir ein weiteres Produkt von TSATSAS zulegen. Unsere Kunden sind für uns langfristige Konstanten, woraus unser Gedanke von Nachhaltigkeit besteht: es geht nicht darum, ob ein Leder ökologisch gegerbt wurde oder nicht. Wenn eine Tasche auf Grund ihres Gestaltungsansatzes kein ästhetisches Verfallsdatum hat, sondern man sie zehn und mehr Jahre
gerne trägt, ist dies unserer Meinung nach wahre Nachhaltigkeit.

 

DIESES INTERVIEW IST EIN AUSZUG AUS DEM BUCH:
HANDMADE IN GERMANY. MANUFACTORY 4.0.
HERAUSGEBER: PASCAL JOHANSSEN
GEBUNDENE AUSGABE: 240 SEITEN
VERLAG: ARNOLDSCHE; AUFLAGE: 1 (1. JULI 2019)
SPRACHE: ENGLISCH, DEUTSCH
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
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