Ästhetisches Spiel mit dem Neuen

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DMS im Gespräch mit Additive Addicted.

Bist Du Handwerkerin?
Nein, Produktdesignerin. Meine Projekte bewegen sich aber in einem Feld, das man „digitales Handwerk“ nennen könnte. Der Begriff „digital craft“ war mir anfangs total fremd, doch es gibt spannende Grenzzonen zwischen Technologie, Material und Hand. Unsere Maschine bauen wir ja auch selbst.

Was ist das für eine Maschine?

Das ist ein sogenannter Deltadrucker. Jonathan Keep hat 2012 die Blaupause dazu als Open-Source veröffentlicht. Genauer gesagt wurde die Logik, wie diese Drucker angefahren werden, veröffentlicht, dann haben sich viele damit beschäftigt, so einen Drucker zu bauen. Das Besondere im Gegensatz zu einem kartesischen Drucker ist, dass man drei Achsen hat und diese angesteuert werden. In der Mitte befindet sich ein Druckkopf. Man braucht also keine stabilisierende Konstruktion – das System ist selbsttragend und damit sehr effizient.

Wo wird der Deltadrucker eingesetzt, abgesehen von künstlerischen Projekten?

BW Lustigerweise kommt er ursprünglich aus der Verpackungsindustrie. In den 80er Jahren hat man mit Deltabots Kisten befüllt.

Und Du hast die Deltadrucker-Technologie „ausgegraben“, um digitale Keramik herzustellen?

Im Studium habe ich mich für eine Weile in Klausur begeben, um zu erforschen, wie man den 3d-Druck als Fertigungstechnik nutzen kann und nicht nur als Rapid Prototyping-Technik. Er war ja ursprünglich zum Visualisieren und schnellen physischen Überprüfen da, als Zwischenschritt in der Produktion. Das hat nach wie vor seine Berechtigung, das macht er super, aber mir war von vornherein klar, dass er mehr kann.

Was kann er mehr? Wenn man die Technologie des 3d-Druckes wirklich als Fertigungstechnik versteht, entstehen keramische Objekte, die man mit konventionellen Methoden nicht herstellen kann. Es sind zwar eingängige Formen, die man kennt, aber wenn man sie sich genauer anschaut, sieht man, dass sie eine fast schon textile Struktur haben, die man mit normalen Technologien nicht abbilden könnte.

Was ist daran noch Keramik?

Das Material. Man muss wissen, wie man das Material in eine druckfähige Konsistenz bekommt, wie man es ansetzt und manipulieren kann, wie man die Objekte trocknet und brennt – sonst funktioniert es nicht. Porzellan ist ein sehr komplexer Werkstoff, er ist nicht ohne Grund so teuer. Es kann sehr viel in der Produktion schief gehen.

Das klingt danach, dass wir eigentlich unseren konventionellen Begriff des Handwerks erweitern müssten, oder?

Das würde ich mir wünschen. Auch der Begriff des Designers muss überdacht werden, der gerade im deutschen Raum vom Bild des Industriedesigners geprägt ist, der für ein Unternehmen entwirft, aber wenig mit der Produktion zu tun hat. Die Realität sieht anders aus. Designer sind auch für die Produktion elementar wichtig.

Musst du eigentlich programmieren können?

Ja, das Programmieren ich auch eine wundervolle Sache, ich mag es, wenn unterschiedliche Ebenen zusammenkommen – Programmieren, Werkstoffkunde, Maschinenbau. Hinzu kommt eine ästhetische Qualität.

Der Einsatz digitaler Technologie ist für Dich aber eher ein künstlerisches Ausdrucksmittel als ein Werkzeug zur Erhöhung einer tech nisch-funktionalen Produktqualität?

Es ist vor allem ein ästhetisches Spiel, aber auch die Entwicklung geht schneller. Mit konventionellen Methoden und abhängig davon, wie
komplex die Form ist, kann ein Formenbau locker ein bis zwei Monate benötigen: Das Urmodell wird in Gips gearbeitet, man macht einen Abguss der Form, sie muss trocknen, dann schmeißt man den Werkstoff rein, der muss wieder trocknen, putzen, brennen, und so weiter. Im industriellen Kontext, bei dem man im Normalfall mit mehreren Iterationen arbeitet, dauert so eine Produktentwicklung gern anderthalb Jahre. Ich kann in einem Monat 50 Objekte drucken, wenn man es auf die Spitze treiben will.

Wie werden Deine 3D-gedruckten Keramik-Objekte in der Öffentlichkeit aufgenommen?

In Ausstellungen und auf Messen habe ich erlebt, dass die Menschen extrem neugierig sind und die Objekte mit ihren strukturreichen Oberflächen zum Anfassen auffordern. Das Auge des Betrachters ist erstmal damit beschäftigt ist herauszufinden, was da passiert, da entsteht eine Referenz zu Textilien, die man in ihrer Materialität spüren möchte. Da ist irgendetwas Neues da, das niemand gleich versteht.

 

DIESES INTERVIEW IST EIN AUSZUG AUS DEM BUCH:
HANDMADE IN GERMANY. MANUFACTORY 4.0.
HERAUSGEBER: PASCAL JOHANSSEN
GEBUNDENE AUSGABE: 240 SEITEN
VERLAG: ARNOLDSCHE; AUFLAGE: 1 (1. JULI 2019)
SPRACHE: ENGLISCH, DEUTSCH
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
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