Formstabil Werft

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Lucas Klinger wuchs im Osten Berlins auf. Nach dem Abitur studierte er zunächst in Berlin Stadtplanung, doch schon zu Schulzeiten – und auch während des Studiums – begeisterte er sich bereits für das Handwerk und half in der Oldtimerwerkstatt seines Vaters. Inzwischen fertigt er traditionelle Holzboote in seiner Flensburger Werft.

Im Keller seiner Studentenwohnung nahmen erste Projekte ihre Form an. Hier restaurierte er eine alte chinesische Rikscha, baute Surfbretter und Fahrräder. Schließlich folgte die Ausbildung zum Bootsbauer. Doch zu Beginn haderte er mit dem Gedanken, weiterhin diesem Beruf nachzugehen. Ihn interessierten vielmehr die Vielfältigkeit der Materialien, Formen und Kurven als der Beruf selbst. Bis seine Faszination für traditionelle Holzboote geweckt wurde. So zog es ihn nach der Lehre nach England, der Wiege des traditionellen Holzbootsbau, um sein Wissen in mehreren renommierten Werften zu vertiefen. Wenn er nicht seine Zeit damit verbrachte Boote zu bauen, segelte er auf dem Atlantik, dem Mittelmeer oder der Ostsee und brachte so einige tausend Seemeilen hinter sich.

Zurück in Deutschland legte er seine Meisterprüfungen im Bootsbau- und Tischlerhandwerk ab. Seitdem spezialisierte er sich auf den Erhalt und Bau klassischer Yachten aus Holz. In seiner Flensburger Werft restauriert und repariert er Holzboote bis zu einer Länge von etwa 15 Metern. Klinger will das Erbe des klassischen Holzbootsbaus erhalten und bietet seit nunmehr zwei Jahren auch Bootsbaukurse an in denen Teilnehmende lernen traditionelle Kajaks und Kanus zu bauen. In den Workshops werden sogenannte „Skin on frame“-Boote gefertigt – dabei werden die Holzgerüste der Boote mit einer Haut aus Stoff bespannt. Diese Technik geht zurück auf die Ureinwohner Grönlands, den Inuit, welche vor mehreren hundert Jahren so ihre Kajaks fertigten um auf Robbenjagd zu gehen.

Die stoffbezogenen Boote, die in seinen Kursen entstehen, sind wahre Hochleistungswasserfahrzeuge. Ihr Gewicht liegt deutlich unter dem moderner Carbonkajaks, trotz der Fertigung mit einfachen Handwerkzeugen. Mit reduzierten Mitteln hochwertige Produkte zu schaffen fasziniert Klinger. „Mich begeistert dieser Low-Tech-Ansatz. In unserer heutigen Konsumgesellschaft werden Produkte immer komplexer und dadurch unverständlicher. Dies macht sie nicht nur anfälliger, sondern auch schwerer zu reparieren.“ So zitiert er auch gerne Antoine de Saint-Exupéry, den Autor des kleinen Prinzen: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ Diesen Grundsatz nimmt er sich nicht nur beim Design, sondern auch bei Werkzeugen und Materialien zu Herzen. Er hofft, dadurch dass seine Teilnehmer ihre Boote selbst per Hand geschaffen haben, einen nachhaltigeren Umgang prägen zu können. Denn, so Klinger, „wer sein Boot selbst gefertigt und eine Bindung dazu hat, weiß auch, wie man es repariert.“

 

 

Was bieten Sie Ihren Kunden? Was suchen Kunden (aus Ihrer Sicht) bei Ihnen?

Ich versuche Kunden anzusprechen, die ein echtes Interesse haben für die Produkte, die sie erwerben. Dies bezieht sich auf das Design aber auch die Materialien und die Fertigungsart. Weder möchte ich sie in ihrem Entscheidungsprozess bevormunden, noch sehe ich mich als bloßer Dienstleister. Ich denke, was Kunden bei mir suchen ist das gemeinsame Herantasten an ein zukünftiges Werkstück auf Augenhöhe. Viele Kunden haben klare Vorstellungen von dem, was sie suchen. Ich versuche dann diese in eine Form zu gießen.

Für die Teilnehmer meiner Bootsbaukurse steht immer auch das Erfahren von Handwerk im Vordergrund. Viele Menschen in hauptsächlich computerbasierten Jobs erleben Entfremdung von ihrer Arbeit. Was ihnen fehlt ist die Rückkopplung vom Geschaffenen. Eine Holzoberfläche mit den Fingerspitzen zu begutachten oder den Widerstand eines Werkstückes bei der Bearbeitung in der Hand zu spüren ist oft ein befriedigenderes Feedback als das Häckchen nach dem Versenden einer Email.

 

 

Was können Sie besser als andere? Oder bescheidener gefragt: Haben Sie bzw. Ihr Unternehmen eine Art Alleinstellungsmerkmal oder besondere Kenntnisse, die ggf. selten sind?

Ich würde sagen mein Alleinstellungsmerkmal ist meine Interdisziplinarität und ein großes Interesse für (handwerkliche) Kultur- und Designgeschichte. Als Bootsbaumeister habe ich gelernt komplexe Formen mit diversen Materialien herzustellen. Dadurch verfüge ich über ein breites Portfolio an teils unkonventionellen Fertigungstechniken. Meine Ausbildung zum Tischlermeister hilft mir bei der strukturierten Konzeptionierung und Planung von Fertigungsprozessen. Ausgestattet mit diesem Handwerkszeug versuche ich meinen Booten und Möbelstücken eine aussagekräftige Formensprache zu verleihen statt in dekorative Phrasen zu verfallen.

 

 

Ist das, was Sie tun, typisch für Ihre Region? Prägt das regionale Umfeld Sie und Ihre Tätigkeiten?

Definitv! Der Bootsbau ist Teil der maritimen Identität Norddeutschlands. Ein Großteil des Know-Hows in Sachens Holzbootsbau konzentriert sich entlang der Schleswig-Holsteinischen Küste. Mit der Nähe zu Dänemark prägt zudem die Klarheit des Danish Design, gerade was die Klassiker des Mid-Century angeht. Insofern fühle ich mich in Flensburg sehr gut aufgehoben.

 

 

Gibt es etwas, für das Ihre Region bzw. Ihr Lebensort besonders bekannt ist?

Die Flensburger Förde mit den vorgelagerten dänischen Inseln ist ein hervorragendes Segel- und Paddelrevier. Durch die unzähligen Buchten und Strände hat man im Sommer schnell das Gefühl in weit entfernten Urlaubsregionen zu sein. Nicht umsonst trägt das Seegebiet im Volksmund die Bezeichnung dänische Südsee.

 

Wo gehen Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Um entspannen zu können braucht man das Flensburger Umland kaum zu verlassen. Häufig bin ich am Wochenende mit Fahrrad oder Boot entlang der dänischen Küste unterwegs. Dort stehen sogenannte Shelter. Das sind Überdachungen aus Holz, die von der dänischen Regierung zur Verfügung gestellt werden und von (Wasser-) Wanderern kostenfrei zum Übernachten genutzt werden können. Meist ist dort auch eine Feuerstelle mit Holz vorhanden. Gerade in den Frühlings- und Herbstmonaten ist man dort häufig allein.

Auf deutscher Seite der Förde befindet sich mit dem „Quellental“ ein alter Friedwald, der steil zur Förde hin abfällt und in einem schmalen Sandstrand mündet. Dort kann man im Sommer wundervoll draussen übernachten und über dem Feuer selbst gesammelte Miesmuscheln kochen.

 

Können Sie ein Restaurant aus Ihrem Umfeld besonders empfehlen?

Das beste Restaurant in Flensburg ist meiner Meinung nach die Hafenküche. Dort wird eine mit Liebe zusammengestellte und wöchentlich wechselnde Karte aus Fischgerichten und vegetarischen Speisen angeboten. Die Hafenküche steht für hochwertige Hausmannskost mit der richtigen Dosis Fine Dining. Neben dem geselligen Ambiente beeindruckt mich dort auch die spürbare Begeisterung des Personals für ihr Produkt.

 

Gibt es einen speziellen Einzelhandelsladen, den Sie empfehlen können, den es nur in Ihrem Ort (oder in der Region) gibt?

Flensburgs Wohlstand ist zu großen Teilen durch den Rumhandel entstanden, was heute in der Stadt auch kritisch aufgearbeitet wird. Aus der Vielzahl der einst vorhandenen Rumhäuser ist das Rumhaus Johannsen als einziges verblieben, dass immer noch in Eigenproduktion Rum verschneidet. Die Produktion befindet sich in einem Hinterhof der für Flensburg so typischen kleinen Kaufmannsstraßen und kann besichtigt werden. Neben dem aromatischen Erlebnis bietet das Rumhaus so auch einen guten Einblick in das Flensburg des letzten Jahrhunderts.

 

Haben Sie das Gefühl, dass die Politik mehr für Sie bzw. Ihre Branche tun könnte? Wenn ja, was?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass handwerkliche Ausbildung und Erfahrung in Deutschland immer noch schlechter gestellt sind als akademische Bildung. Dies zeigt sich exemplarisch am Verhältnis von Meistertiteln und Bachelorabschlüssen. Zwar sind beide Abschlüsse seit 2020 gesetzlich gleichgestellt, jedoch wird dieselbe Stelle im Durchschnitt deutlich schlechter bezahlt, wenn sie von einem Meister statt einem Bachelorabsolventen besetzt wird.

Hinzukommt, dass ein Meisterabschluss in Deutschland nicht als Zugangsberechtigung zu einem Masterstudium ausreicht. Somit wird bei der beruflichen Bildung eine gläserne Decke eingezogen. Wieso darf ein Bachelorabsolvent der Holztechnik einen Betrieb im meisterpflichtigen Zimmereigewerbe eröffnen aber ein Zimmerermeister nicht einen Masterstudiengang der Holztechnik belegen? Diese Ungleichbehandlung behindert die gesellschaftliche Durchlässigkeit und sollte abgebaut werden.

 

 

Wie ist die Ausbildungssituation in Ihrem Bereich? Finden Sie leicht Nachwuchs? Was vermissen Sie?

Die Ausbildungssituation im Bootsbau ist sicherlich etwas besser als in anderen Handwerksberufen. Das liegt vermutlich an der Exotik des Berufes. Trotzdem brechen viele die Ausbildung ab, da die Vergütung während der Ausbildung eher symbolischen Charakter hat. Während meiner Ausbildung erhielt ich ca. 300€ monatlich für eine 40 Stunden Woche. Viele kleine Betriebe können sich schlichtweg auch nicht mehr leisten. Ich sehe hier den Staat in der Verantwortung diese Bedarfslücke zu schließen. Was hier helfen könnte ist eine Reform der Berufsausbildungsbeihilfe (vergleichbar mit dem Bafög), die spürbar entlastet.

Auch muss bedacht werden, dass Auszubildende, im Vergleich zu Studierenden, bereits während ihrer Lehrzeit durch ihre Produktion erheblich zum Wirtschaftsgeschehen beitragen. Ausserdem können sie als Vollzeitbeschäftigte keinen Nebenjobs zur Verbesserung ihrer prekären Einkommenssituation nachgehen. Mein Vorschlag wäre daher, für die duale Berufsausbildung dieselben Bedarfssätze wie beim Bafög anzusetzen, diese jedoch für Auszubildende als Vollzuschuss zu gewähren.

 

 

Welches Schulfach sollte es geben, das es noch nicht gibt?

Noch ein Schulfach?

 

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Bootsbau Lucas Klinger
Marienhölzungsweg 11
24939 Flensburg

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