Manufaktur

Marie-Annick Le Blanc

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Seit 2014 schafft Marie-Annick Le Blanc Unikate in ihrem Atelier, umgeben von Natur, im brandenburgischen Groß Eichholz. Hier fand sie die Ruhe, die sie nach einem Leben auf Reisen gesucht hatte.

Große Vasen in Naturtönen, von grau über sepiabraun bis hin zu schwarz, in seidenmattem Glanz, sind das Erkennungsmerkmal von Marie-Annick Le Blancs Keramikarbeiten. Geboren auf der Insel Mauritius, kam sie als Kind nach Europa, lebte in Rom, Genf, Wien und London, studierte Klavier und Interior-Design. Bevor sie die Kunstkeramik für sich entdeckte, leitete sie für 20 Jahre mit ihrem Ehemann eine Musik-Management-Agentur in Berlin. Ihre Begegnung mit der Raku-Keramik und dem Grubenbrandverfahren war für die Künstlerin einer jener Zufälle, die einem oftmals als Antwort auf einen längeren inneren Suchprozess begegnen.

Schon der erste Kontakt mit dieser meditativen Kunstform gab ihr den Impuls, bei Mylène Peyreton im Centre Argile bei Besançon in die Lehre zu gehen. Seither widmet sie sich ganz der Praxis, Erforschung und Vermittlung der Prozesse, die mit diesen archaischen Verfahren der Kunst-Keramik verbunden sind. Während eines anspruchsvollen, zeitaufwändigen Entstehungsvorgangs entwickeln ihre Vasen etwas wie ein Eigenleben und eine unverwechselbare Persönlichkeit. 

Wulst für Wulst lässt die Künstlerin sie zunächst im freien Aufbauverfahren heranwachsen. Mit den Fingern werden die Tonstränge verbunden, die Wände geglättet und in mehreren Durchgängen mit Hölzern und Halbedelsteinen poliert. Das kann Wochen dauern. Dieser entschleunigte Entstehungsprozess verleiht den Vasen etwas sehr Organisches. Mit pflanzlichen Materialien und Sulfaten in Papier eingewickelt werden die fertigen Objekte schließlich in Sägespäne in der Grube eines mit Ziegeln aufgeschichteten Brennofens gelegt. Dort sind sie für zwei Tage bei niedriger Temperatur einem schwelenden Rauch ausgesetzt.

Rauchbrand lehrt Geduld. Der Moment, in dem die Gefäße aus dem Ofen kommen, gleicht dann fast schon einer Geburt – das Ergebnis hängt von vielen unberechenbaren Faktoren wie Wetter, Mond und Luftdruck ab. Manchmal haben die Gefäße Sprünge, und anstelle des melodischen Klangs ertönt nur ein stumpfes Geräusch. Die Antwort der japanischen Tradition auf solche „Unfälle“ heißt Kintsugi, „Goldflickerei“. Nach der „Reparatur“ mit Goldlack ziehen sich, als Feier der Unvollkommenheit, feine schimmernde Linien über den Vasenkörper.

Bei dem zweiten Verfahren, dem Raku, wird das mit Glasur bearbeitete Stück in einem Gasofen bei ca. 1000°C gebrannt und dann zügig in Wasser oder brennbarem Material abgekühlt. So entsteht, in Verbindung mit den dunklen Rauchspuren, die für Raku-Keramik charakteristische Glasurstruktur des Craquelée. Marie-Annick Le Blancs Kunstpraxis fordert den ganzen Körper. Er wird sich der Gravitation bewusst und verbindet sich mit den vier Elementen, Erde, Luft, Wasser und Feuer. Jeder der Schritte in diesem Schaffensprozess ist bedeutsam und kann uns, im Geiste der Buddhistischen Zen-Philosophie, etwas lehren: Erwartungen der Ungewissheit unterzuordnen, Akzeptanz der Unvollkommenheit einzuüben und im gegenwärtigen Augenblick bewusst zu handeln. 

 

Text von Almut Hüfler.
Fotos 3 und 4 von Anke Sademann.