Görlitz ist für viele die schönste Stadt Deutschlands und ein städtebauliches Gesamtkunstwerk von europäischem Format. Auch im Bereich der kunsthandwerklichen Produktion. Das Flächendenkmal bietet eine reiche Geschichte und ein prachtvolles Heute. Görlitz war lange eine der wohlhabendsten Städte der Region, wirtschaftlich erfolgreich und politisch stark. Mit rund 100.000 Einwohnern übertraf die Neißestadt in der Größe zeitweise sogar die heutige sächsische Landeshauptstadt Dresden.

Panoramablick auf die Görlitzer Altstadt bei Abenddämmerung, beleuchtet von warmem Licht.

Ihre Blüte in der frühen Neuzeit verdankte die Stadt dem Handel mit Tuch und Waid. Die günstige Lage an der Neiße und der Via Regia, die von Kiew bis nach Santiago de Compostela führt, machten Görlitz zu einem bedeutsamen Standort für Gewerbe, Kultur, Baukunst und Handwerk. Der Handelsweg sorgte für den regen Austausch der Stadt mit ferneren Regionen Europas. Im 16. Jahrhundert machte der Theosoph Jacob Böhme von sich reden. Er arbeitete als einfacher Schuster in Görlitz und entwickelte nebenbei seine Theorien zur „Einheit von Mensch und Natur“, die weithin Beachtung fanden.

Zeltplatz mit einem roten VW-Bus und einer Gruppe von Menschen an einem Tisch, umgeben von Bäumen in Görlitz.

Im 19. Jahrhundert erlebte Görlitz erneut einen enormen Aufschwung. Mit der Industrialisierung und dem Bau von Eisenbahn und Theater wurde aus dem beschaulichen Görlitz eine reiche Stadt voller Kultur und Esprit. Um 1850 riss man die mittelalterlichen Stadtmauern nieder, sodass sich Görlitz weit über seinen historischen Kern hin ausdehnen konnte. Im Geist der Gründerzeit entstanden Fabriken, Banken, Aktiengesellschaften, Handel und Exportgewerbe florierten. Ganze Stadtviertel wurden neu gebaut und in nur wenigen Jahrzehnten wuchs die Einwohnerzahl bis auf 85.000. So war Görlitz zu Beginn des 20. Jahrhunderts das reiche und prachtvolle Zentrum der preußischen Oberlausitz und nach Breslau die zweitgrößte Stadt Niederschlesiens. An den östlichen Rand Deutschlands rückte Görlitz erst am Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Neiße hier Staatsgrenze wurde. Der Fluss teilte nun auch die Stadt: Im Osten liegt Zgorzelec, im Westen Görlitz.

Panorama der Peterskirche in Görlitz mit ihren markanten Türmen und der Stadtlandschaft im Hintergrund bei Sonnenuntergang.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die historische Bausubstanz bis zur politischen Wende 1989 dem Verfall preisgegeben worden. Die deutsche Wiedervereinigung brachte besonders für die Altstadt den Segen. Einen Beitrag leistet dafür auch ein anonymer Spender, welcher von 1995 bis 2016 die „Altstadt-Million“ (heute ca. 511.000 Euro) zur Verfügung stellte, um die Stadt dabei zu unterstützen, sie großflächig zum Schmuckstück zu sanieren. Unter dem Motto „KulturSpur. Ein Fall für den Denkmalschutz“ öffnen sich zum Tag des offenen Denkmals für Interessierte die Türen verschiedener öffentlicher Einrichtungen, Kirchen und auch Gebäude von Privateigentümern. Traditionell findet zugleich der Handwerkermarkt auf dem Untermarkt statt, auf dem über 30 Handwerke ihre Kunstfertigkeiten, alte Handwerkstechniken und Erfahrungen präsentieren, die unter anderem zum Aufbau und der Einrichtung von Gebäuden notwendig waren. Aber in Görlitz sind nicht nur fast 4.000 Baudenkmale aus 500 Jahren europäischer Baugeschichte erlebbar, sondern auch kunsthandwerkliche Gegenständen des Alltags wie Rucksäcke, Porzellan, aber auch lokale Produzenten für Oberflächengestaltung aus Rinden oder regionale Bier- und Brausesorten.

Paar sitzt an einem Tisch am Berzdorfer See, Sonnenuntergang spiegelt sich im Wasser, entspannte Atmosphäre.

Am reizvollen Görlitzer Neißeufer braut die 1896 gegründete Landskron Braumanufaktur in einem traditionell-handwerklichen Verfahren 13 verschiedene Bier und Brausesorten. In dieser für Besucher zugänglichen größten Braumanufaktur wird bis heute am offenen Bottich gebraut.

Holzhäuser im Wald mit Terrassenmöbeln, ein Mann sitzt entspannt und liest.

Ganz in der Nähe der Erlebnis-Industriebrache Kühlhaus Görlitz befindet das Görlitzer Start-up Nevi. Nevi ist das weltweit erste Unternehmen, das Birkenrinde in einem patentierten Verfahren maschinell zu Oberflächen und Griffen verarbeitet. Das Start-up bringt mit Birkenrinde oder „Birkenleder“ einen Naturstoff zurück ins Spiel, der zwar vor der Entwicklung von Kunststoffen jahrtausendelang auf Dächern und im Bootsbau verwendet wurde, dann aber in Vergessenheit geriet, weil er sich nicht maschinell verarbeiten ließ.

Blick auf die Brüderstraße in der Altstadt Görlitz mit einem Brunnen im Vordergrund und historischen Gebäuden im Hinte...

Mit ihren Unikaten KIEP IT REAL produziert Laba ganz in der Nähe des faszinierenden Farbenspiels im Kuppelsaal der jüdischen Synagoge den ersten Rucksack, dessen Hauptrohstoff direkt in der Oberlausitz wächst. Die sogenannte Weiden-Kiepe stammt aus dem UNESCO Biosphärenreservat der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft und wird im sächsisch-böhmischen Milkel/Minakał in Handarbeit zu stabilen und nachhaltigen Rucksäcken geflochten. In den Räumen der alten Görlitzer Seilerei, direkt gegenüber des historischen Kaisertrutzes, befindet sich das Porzellan- und Produktdesign Studio 1280°C M.M DESIGN, welches eine Schauwerkstatt, eine Ausstellungs- und eine Verkaufsfläche integriert. Die freischaffende Porzellandesignerin Mira Möbius zeigt hier, wie in einem langen Prozess und bei 1280°C feinstes, weißes Porzellan entsteht.

Schaufenster mit einem Koch, der Zutaten vorbereitet, in warmen Farben beleuchtet, in Görlitz.

Görlitz – das sind nicht nur alte, schön sanierte Häuser und Hochkultur. Abseits der touristischen Pfade gibt es zahlreiche Manufakturen und Kunsthandwerkerbetriebe, die traditionelle und innovative Handwerkstechniken ideenreich nutzen und einen nachhaltigen Konsum in Görlitz anregen und auf eine ästhetisch ansprechende Art ermöglichen.

Blick auf das Innere der Görlitzer Synagoge mit kunstvollem Gewölbe und Sitzplätzen, aufgenommen von oben.

Fotos von: (Titelbild, Foto 1) Copyright Paul Glaser, (Fotos 2, 4, 7, 8) Copyright Nikolai Schmidt, (Fotos 3, 5, 6, 9) Copyright Paul Glaser